Symbiose aus Musik und lebenden Bildern

Theater an der Rott: „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ bot eine meditative Stunde

Die Kreuzigung wurde als lebendiges Bild nach Tintoretto nachgestellt.
(Foto: Theater an der Rott)

Es herrschte Stille im Theater, als der Chor, das Orchester verstummt, der letzte Satz, das „Terremoto“, ein dramatisches Klanggemälde, zu Ende war, bevor der Applaus anhob. Denn auch als „Erdbeben“ per se mochten viele Zuschauer am Freitag, Samstag und Sonntag die Eggenfeldener Interpretation dieses 1786 im Auftrag des Domherren von Cadiz zur Karfreitagsliturgie komponierten großen Werkes der Musikliteratur empfunden haben: Intendant Mario Eick ließ das Haydn-Oratorium „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ für Soli, Chor und Orchester mit „lebenden Bildern“ nach kunstgeschichtlichen Motiven aus Hochrenaissance und Barock verschmelzen. Mitglieder des Theater-Ensembles wie Solisten des Tanzzentrums Gabi Büttner, darunter auch Kinder, fügten sich in die auf den Gemälden dargestellten Figuren Rubens, Raffaels, stellten Tintorettos „Kreuzigung“, die Auferstehung bei Grünewald und Mchelangelos „Pieta“. Das semiprofessionelle Petershausener Kammerorchester wie der dunkelgekleidete, mehrfach preisgekrönte Visino-Chor, beidseitig der Bühne V-förmig zum „Tableau vivant“ postiert; sie bewältigten meisterhaft unter der Leitung von Musikdirektor Hannes Ferrand das schwierige Sujet fernab vom „Raumklang“ eines Kirchenschiffes. Großartig und von ungeheurer Strahlkraft erwiesen sich drei der Solisten: Petra Grimme, Sopran, Tatjana Conrad, Alt, und Herbert Hanko, Bass. Da war viel interpretatorische Affinität des Ausdrucks zu jenem der in den Motiven alter Meister „erstarrten“ oder „versteinerten“ Schauspielern und Tänzern. Und nicht erst das fertige Bild, sondern bereits das dynamische Sich-Einfügen der Darsteller in die Bild-Komposition bis hin zur Faszination der Regungslosigkeit eines Gemäldes, einer Skulptur hatte ästhetische Qualität! Aber nur mittels eines tiefen, sicheren Gespürs für den guten Geschmack und nicht ohne meisterlichsouveräne Beleuchtung gedieh alles miteinander zur Hommage an die sakrale Kunst. Denn bei aller Dramatik hatte sich diese hochsensible Aufführung doch verhalten konzentriert: auf die eigentlich
wesentlichen, die zerbrechlichen Elemente eines grandiosen Passions-Oratoriums. Den Motiven menschlicher Demut, Dankbarkeit und Ehrfurcht im Hinblick auf den freiwilligen Opfertod Christi räumte Haydn einst Prioritäten ein, nicht der Tragik des Passionsgeschehens, nicht der Verständnislosigkeit gegenüber der Leiderfahrung. Und diese Inszenierung präsentierte hinter dem ätherischen, schleierähnlichen Vorhang, der sich immer wieder hob und senkte, eine Symbiose aus Sonaten und lebenden Bildern, eine meditative Stunde, transzendent entrückt, streng, gleichwohl reich an Spannung, dramaturgisch klug gesteuert und voller synästhetischer Impulse. Als Experiment hatten die Thaterleute den Abend im Vorfeld gesehen. Von einem „gelungenen Experiment“ zu sprechen, hätten wohl die Besucher – die drei Abende waren ausverkauft -, die nachdenklich zu den Parkplätzen gingen, eingedenk solch großartiger Arbeit eines Ensembles als zu flach empfunden.

Marita Pletter
Rottaler Anzeiger vom 18. März 2008