Stehende Ovationen für grandiose Leistung

Visino-Chor meistert bisher größte Herausforderung – Beethovens „Missa Solemnis“ in beeindruckender Interpretation

Beethovens „Missa Solemnis“ einmal aufzuführen – das ist ein Unterfangen, das den allermeisten Chören erwehrt bleibt, weil das Anspruchsniveau einfach zu hoch ist. Dass der Visino-Chor sich zu seinem 160. Jubiläum an dieses herausragende Meisterwerk heranwagte, vermag einiges über die Qualität des Ensembles zu verraten. In der restlos gefüllten Klosterkirche gelang dem weitum bekannten Chor eine exemplarische und zutiefst beeindruckende Aufführung.

Höhepunkt der Sakralmusik

Zur Historie der Messe: Beethoven komponierte sie für einen Freund, der Erzbischof von Olmütz wurde. Allerdings kam es wegen der für den liturgischen Gebrauch übermäßigen Länge nicht zur Aufführung bei dessen „Inthronisation“, sondern erst Jahre später. Seitdem gehört die Messe zu den absoluten Höhepunkten der Sakralmusik und steht sicherlich in einer vergleichbaren Position wie Bachs berühmte h-moll-Messe. Die Ausdehnung des Werkes ist immens, allein das Credo dauert knapp 25 Minuten, zeigt aber einiges über die unheimliche Kraft und Wucht, die Beethoven in dieses Glaubensbekenntnis gelegt hat.

Nun aber zur Aufführung: Schon nach den ersten Takten des „Kyrie“ spürten die Zuhörer, dass ihnen ein bemerkenswerter Abend bevorstehen würde. Mächtige Klangakkorde des Chores, im Wechsel immer wieder abgelöst durch das Solistenquartett, erzeugten einen famosen Beginn. Das „Kyrie“ ist in seiner Kompositionsweise herrlich abgelegt: Immer wieder wechseln sich Chor und Solistenquartett fast nahtlos ab, auf ganz besonders entzückende Weise beim „Christe“ – fast schon eine Art Duett.

Beim Eröffnungsteil konnte man auch schnell die besonderen Dirigierfähigkeiten des Chorleiters Thomas Scherbel erkennen, da das „Kyrie“ aufgrund seiner überaus lang gezogenen Notenwerte sehr schwierig zu dirigieren ist, ohne dass die Präzision zwischen Chor und Orchester leidet.

Das „Gloria“ ist wohl für jeden ambitionierten Chor eine besondere Reifeprüfung, beginnt es doch wuchtig, in für Sopran und Tenor teils extremen Tonlagen und mit aller Lautstärke. Besonders gut – und das spricht für eine sehr sorgfältige Probenarbeit – gelangen die dynamischen Unterschiede in einzelnen Passagen. Man merkte, dass der Chor von seinem Dirigenten in wahrstem Sinne des Wortes geführt wird und mit ihm korrespondiert.

Das „Gloria“ fordert auch von den Solisten einiges. Herrlich die kraftvolle, aber nie aufdringliche und gottlob recht vibrationsarme Stimme von Sophia Brommer (Sopran), die sich jederzeit auch gegenüber dem Orchester behaupten konnte, genauso wie die warme und dennoch sehr füllige Stimme der Altistin Regine Jurda, die eher Mezzosopran-Charakter hat, was aber bei dieser Messe nicht unbedingt von Nachteil ist. Beethoven hat einige Fugen in sein Werk integriert, beispielhaft war die Abschlussfuge „In Gloria Dei Patri Amen“ mit enormen Hürden in einzelnen Passagen.

Ausdauer und Beharrlichkeit

Das „Credo“ gehört zu den längsten Stücken in Messkompositionen überhaupt und bietet für den Chor ungeahnte Schwierigkeiten. Man kann den Visino-Chor gar nicht genug dafür loben, sich einer solchen Herausforderung zu stellen, denn dazu gehört nicht nur musikalisches Können, sondern auch äußerst viel Ausdauer und Beharrlichkeit. So war es nicht verwunderlich, das man förmlich das Glück der Sängerinnen und Sänger nach Beendigung dieses Teil spürte, diese Reifeprüfung erfolgreich gemeistert zu haben. Das Kammerorchester Dieter Sauer aus Pfaffenhofen unterstützte dabei den Chor in hervorragender Weise: Stets präsent, immer dem Gesamtwerk dienend und auf technisch hohem Niveau wurde zusammen mit Bläsern und einem Paukisten der Musikhochschule München ein rundes orchestrales Erlebnis geboten.

Das „Sanctus“ ist ein Paradestück für die Vokalsolisten, sind doch bei „Pleni sunt coeli“ mehrere Koloratur-Passagen enthalten, die messerscharf und punktgenau dargeboten wurden. Bemerkenswert waren die vielen Tempowechsel von sehr getragenen bis hin zu schnellen Passagen, die normalerweise immer etwas risikohaft sind. Dank der guten Abstimmung zwischen allen Beteiligten – und das bei einer einzigen gemeinsamen Probe – gelang auch dies problemlos.
Entzückend wurde das verspielte Duett zwischen Solovioline und Querflöte vorgetragen, kraftvoll dagegen die „Hosianna“-Fuge für den Chor, die im Stil einer Ouvertüre mit punktierten Rhythmen komponiert ist. Trotz der relativen Kürze dieses Teiles wurde besonders den Sopranistinnen wieder sehr viel abverlangt – Pianissimo-Stellen in sehr hohen Lagen lang auszuhalten, ist wahrlich schwierig.

Der letzte Teil, das „Agnus Dei“, begann mit einem Bass-Solo (Martin Danes), das sehr düster gehalten ist und sich erst später zu einem zuversichtlichen Friedensgebet verändert. Auch Tenor Werner Rau, im Stil eher im Opernfach anzusiedeln, hatte hier wieder viele Einsätze und keinerlei Mühe, seine kraftvolle und tremoloreiche Stimme auch in den hinteren Reihen der Klosterkirche hörbar zu machen.

Am Schluss erklang ein grandioses Finale, an dem alle beteiligt waren und das alle Zuhörer nochmals in den Bann zog. Lange und dankbare „standing ovations“ waren der Dank für ein nachhaltiges musikalisches Erlebnis. In Gesprächen nach dem Konzert zeigte sich, dass sich viele Besucher der Tatsache bewusst waren, einem ganz besonderen Konzert beigewohnt zu haben.

Die Kunst des Dirigierens

Dirigent Thomas Scherbel

Einen großen Anteil daran hatte Vollblut-Musiker Thomas Scherbel. Er setzte als Dirigent alles daran, die vielen versteckten kleinen Details, die aus dem Werk ein so großes machen, möglichst genau herauszuarbeiten. Dabei verlangte er dem Chor alles ab. Die große Kunst bestand für ihn darin, den Chor bis an die Grenze des Machbaren zu führen, aber eben gerade nicht darüber hinaus. Scherbel erwies sich als äußerst versierter und umsichtiger Dirigent mit einem sehr zwingenden und eindeutigen Dirigat. Zudem gelang es ihm stets, die Spannung aller Mitwirkenden immens hoch zu halten – selbst das Publikum wagte es nach den jeweiligen Enden der Messteile nicht, irgendein Geräusch von sich zu geben, ehe Scherbel sein Dirigat vollkommen beendet hatte.

Markus Asböck
Rottaler Anzeiger vom 26. November 2007