Visino-Chor meistert die Herausforderung

Renommiertem Ensemble gelingt beeindruckende Interpretation von Felix Mendelssohn-Bartholdys Oratorium „Paulus“

Mächtiger Klangkörper: Thomas Scherbel (auf dem Dirigentenpult) spornte den Visino-Chor, die Chorgemeinschaft St. Cäcilien Germering, Musiker und Solisten in der Klosterkirche zu Höchstleistungen an. (Foto: Kerscher)

Eggenfelden. Dass sich der Visino-Chor an große Werke der Chorliteratur heranwagt, ist inzwischen ja kein Geheimnis mehr, denn zum wiederholten Male präsentierte das traditionsreiche Ensemble ein herausragendes Werk – diesmal das Oratorium „Paulus“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy. In der Klosterkirche gelang dem weitum bekannten Chor eine exemplarische und zutiefst beeindruckende Aufführung.

Zur Historie des Werkes: „Paulus“ ist neben „Elias“ das erste der beiden vollendeten Oratorien von Felix Mendelssohn-Bartholdy und behandelt Leben und Wirken des Apostels. Das Oratorium, in zwei Teile gegliedert, beschreibt den Werdegang vom Saulus zum Paulus, wobei der erste Teil seine Verfolgung der Christen (Märtyrertod des Stephanus durch Steinigung) schildert und das Damaskus-Erlebnis der Erscheinung Christi.

Der zweite Teil erzählt von seiner Arbeit als Missionar und von den damit verbundenen Gefahren. Dass Mendelssohn dramatisch besonders wertvolle Szenen, wie die im Kerker von Philippi und die des Tribunals von Caesarea, nicht verwendet hat, wurde oft bedauert, doch ging es ihm wahrscheinlich eher um die Umsetzung und Erzählung der Apostelgeschichte als um die Darstellung von Paulus als Persönlichkeit.

„Paulus“ ist auch von seiner Ausdehnung her ein großes Werk, vom Schwierigkeitsgrad her sowieso, gehört aber dennoch nicht zu den bekanntesten Oratorien. Umso lobenswerter und mutiger ist es, dass sich Dirigent Thomas Scherbel eben dieses Werk vornahm – der kulturellen Vielfalt dient er damit auf jeden Fall sehr.

Um „Paulus“ umsetzen zu können, vereinigte er den Visino-Chor mit der Chorgemeinschaft St. Cäcilia Germering, wo Scherbel als Kirchenmusiker tätig ist. Das Ergebnis war ein mächtiger Gesamtchor mit einer Vielfalt an dynamischen Möglichkeiten, die jedoch nie übertrieben wirkten. Besonders bei den Chorälen konnte das gewaltige Ensemble seine Qualitäten zeigen, kommt es gerade da auf größtmögliche Präzision auch in der Umsetzung der Worte an.

Das weitaus kleinere Orchester stellte den „Gegenpart“ zum großen Chor dar, ging jedoch nicht unter, da Thomas Scherbel stets den Gesamtklang im Visier hatte und von seinen Musikern stets disziplinierte Einordnung in das Gesamtbild abverlangt. Bei prägnanten Stücken wie „Dieser Mensch“ mit pochenden Rhythmen und dann wieder fließenden fugierten Teilen konnte man dies gut verfolgen.

Die Instrumentalisten, die vorwiegend aus dem Münchner Raum stammen, lieferten beachtliches musikalisches Können – der Fundus gerade aus dem Umfeld der Musikhochschule scheint schier unerschöpflich. Besonders die Blechbläser beeindruckten mit Präzision und Prägnanz in ihrem Spiel. Hervorragende Leistungen brachten auch die Solisten Marina Ulewicz (Sopran) mit ihrem engelsgleichen, reinen und schlanken Gesang: Annette Kramny (Mezzosopran), Markus Roberts (Tenor) und Tareq Nazmi (Bass), der einen sehr durchsetzungsfähigen Charakter zeigte – sie alle werden im „Paulus“ stark gefordert und besonders die Rezitative lebten von ihrer Leichtigkeit und unaufgesetzten Virtuosität. Der Chor bewies wie schon bei vergangenen Aufführungen seine große Ausdauer – besonders bei den Tenören müssen immens hohe Stellen gesungen werden und das über lange Zeit, was normalerweise zu stimmlicher Ermüdung führen kann.

Thomas Scherbel, ein sehr zielstrebiger und auf Genauigkeit und Professionalität Wert legender Musiker, setzte alles daran, die vielen versteckten Details, die aus dem Werk ein so großes machen, möglichst genau herauszuarbeiten. Dass er dabei dem Chor alles abverlangt, ist die klare Konsequenz. Die große Herausforderung bestand für ihn darin, den Chor bis an die Grenze des Machbaren zu führen, aber eben gerade nicht darüber hinaus.

Scherbel erwies sich als äußerst versierter und umsichtiger Dirigent mit einem sehr zwingenden und eindeutigen Dirigat, was Grundlage für die hohe Qualität eines solchen Konzertes ist. Zudem gelang es ihm stets, die Spannung aller Mitwirkenden immens hoch zu halten, was bei der zeitlichen Ausdehnung des Werkes wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist.

Die Eggenfeldener können stolz sein, dass sie in Zeiten der allgemeinen kulturellen Verflachung und der Kommerzialisierung der Gesellschaft auf einen Gegenpol zugreifen können, der Kultur in einer zutiefst ergreifenden Weise bietet. Es bleibt zu hoffen, dass solche Konzerte weiterhin so gut besucht werden und damit diese Kultur am Leben erhalten werden kann.

Markus Asböck
Rottaler Anzeiger vom 24. November 2010